Neue Morddrohungen von faschistischen Netzwerken in Militär und Polizei

In den vergangenen Tagen sind weitere rechtsextreme Chatgruppen bekannt geworden, in denen sich Polizisten, Soldaten, Reservisten und Veteranen der Bundeswehr tummeln. Gleichzeitig häufen sich rechtsextreme Drohmails und Faxe gegen Linke, Migranten, Künstler, Journalisten, Rechtsanwälte und Politiker – zuletzt hat die SPD-Vorsitzende Saskia Esken eine mit „NSU 2.0“ unterzeichnete Drohmail erhalten. Viele Drohungen beinhalten persönliche Daten der Bedrohten, die nicht öffentlich bekannt sind und in mindestens drei Fällen kurz zuvor über Polizeicomputer abgerufen worden waren.

Im bekanntesten Fall wurde die geheime Anschrift von Seda Basay-Yildiz über einen hessischen Polizeicomputer im 1. Revier in Frankfurt abgerufen. Die Anwältin, die unter anderem Angehörige der Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verteidigt hatte, erhielt wenige Tage später einen mit „NSU 2.0“ unterschriebenen Drohbrief.

Wie Der Spiegel am 29. Juli berichtete, wurde gegen die Polizistin, unter deren Account die Daten abgerufen wurden, zunächst nur oberflächlich ermittelt – mit der Begründung, dass sich auch ein anderer Beamter mit ihrem offen herumliegenden Passwort hätte anmelden können. Sie galt zunächst nicht als Verdachtsperson. Nachdem die Beamten festgestellt hatten, dass sie über ihr Smartphone in einer rechtsextremen WhatsApp-Gruppe aktiv war, sahen sie sich letztlich doch gezwungen, Ermittlungen gegen sie aufzunehmen.

In dieser rechtsradikalen WhatsApp-Gruppe „Itiotentreff“ waren fast alle Mitglieder hessische Polizisten. Insgesamt wurden 102 Bilder, Karikaturen und Nachrichten geteilt, von denen 40 später von der Staatsanwaltschaft als strafrechtlich relevant eingestuft wurden. Die Mitglieder der Gruppe machten sich über Behinderte, KZ-Häftlinge, Dunkelhäutige, Flüchtlinge und Juden lustig. Besonders menschenverachtend waren Nachrichten, die den syrischen Flüchtlingsjungen Alan Kurdi zeigten, dessen Bild 2015 traurige Berühmtheit erlangte. „Wers findet, darfs behalten“, stand unter dem Bild seines leblosen Körpers, der an einen Strand in der Türkei angespült worden war.

Die Chatgruppe hat einen offen faschistischen Charakter. Zweck der Gruppe war es, rechtsextreme Standpunkte auszutauschen und möglicherweise Gewalttaten vorzubereiten – offenbar unter dem Schutz der Sicherheitsbehörden und von Lokalpolitikern der Regierungsparteien.

Ein Mitglied des „Itiotentreffs“ wohnte 2018 im mittelhessischen Ort Kirtorf, einer Hochburg von Rechtsextremisten, in der seit der Jahrtausendwende zahlreiche rechtsradikale Großveranstaltungen stattgefunden haben.

Zudem waren Ende 2018 in Kirtorf bei einer Hausdurchsuchung bei einem weiteren hessischen Polizisten zahlreiche NS-Devotionalien gefunden worden, die ein Ermittler als „Nazi-Museum“ beschrieb. Der damalige Bürgermeister Ulrich Künz (CDU) verteidigte die Funde damit, dass doch viele Menschen historische Gegenstände sammelten. Er beschrieb den nationalsozialistischen Sammler und seinen Bruder, ebenfalls ein hessischer Polizist, als „nette Burschen, sympathisch, sehr integriert in Vereinen und Verbänden“.

Das ist nur ein Beispiel rechtsextremer Strukturen, die innerhalb der staatlichen Sicherheitsbehörden aufgebaut werden. In der hessischen Polizei gab es in den letzten Jahren mehr als 70 Verdachtsfälle auf Rechtsextremismus. Deutschlandweit werden immer neue rechtsextreme Netzwerke aufgedeckt – wie „Revolution Chemnitz“ in Sachsen, das „Hannibal“-Netzwerk um den früheren KSK-Soldaten André S., oder jüngst die bundesweite rechtsradikale Telegram-Gruppe #WIR.

Am 23. Juli veröffentlichte Zeit online unter dem Titel „Soldaten, die den Umsturz planen“ Auszüge aus diesem rechtsextremen Netzwerk. Unter den zeitweise über 240 Mitgliedern der Chatgruppe #WIR befänden sich „mehrere Soldaten, Reservisten und Veteranen“ der Bundeswehr, darunter zahlreiche Rechtsextremisten und Neonazis, schreibt der Autor und Rechtsextremismus-Experte Christian Fuchs.

Ein Mitglied sei Hartmut T.. Er bekleide mindestens den Rang eines Feldwebelanwärters, habe in der Telegram-Gruppe verschiedene Fallschirmjägerabzeichen und ein Einzelkämpferabzeichen aus mindestens zwölf Jahren Dienst als Zeitsoldat präsentiert, sei auf einem Heeresflugplatz in der Lüneburger Heide stationiert gewesen und gehöre inzwischen dem Kommando Schnelle Kräfte an.

Dieses Kommando ist der gleichen Division untergeordnet wie das Sonderkommando KSK, das so stark von rechtsextremen Terrorstrukturen durchdrungen ist, dass sich Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) im vergangenen Monat gezwungen sah, eine Umstrukturierung der Einheit einzuleiten.

KSK-Scharfschütze beim Training (Quelle: Wikimedia Commons)

Wie das im KSK verwurzelte „Hannibal“-Netzwerk hätten auch die Mitglieder von #WIR die Ermordung von Linken und die Errichtung eines faschistischen Regimes in Deutschland an einem „Tag X“ geplant, heißt es im Zeit-Artikel.

So habe Hartmut T. im #WIR-Chat geschrieben: „Kannst Du mich in die Gruppe Antifa Aufklärung mit reinbringen? Ich möchte wissen, wer meine Feinde sind (…) um gegen diese Terroristen vorgehen zu können.“

Ein weiterer von der Zeit zitierter Beitrag zeigt, wie konkret in der Gruppe rechte Umsturz-Pläne diskutiert wurden. „Patrioten“ müssten sich jetzt „in Sicherheit bringen“, und „wenn die erste Welle durch ist, dann kommt unsere Zeit, dann gilt es, unser Land wieder aufzubauen“, habe T. dort im November 2019 geschrieben.

Der Autor des Zeit-Artikels ergänzt: „Diese Aussagen stammen aus dem November 2019, ‚Welle‘ hatte damals keinen Bezug zum Coronavirus, vermutlich ist hier die erste Phase nach einem Umsturz gemeint.“

Das Material, das Fuchs präsentiert, lässt keinen Zweifel an der faschistischen Orientierung der Gruppe, ihrer engen Verbindung zur Bundeswehr und zu anderen europäischen Armeen und ihren gewaltsamen Umsturzplänen. „Antisemitische Sprüche oder rassistische Gewaltfantasien“ gehörten ebenso zu den ausgetauschten Nachrichten wie Memes mit Schriftzügen wie „frei sozial national“, schreibt er.

Andreas E., ebenfalls Teil der Gruppe, sei „nach eigener Aussage“ über fünf Jahre bei der französischen Fremdenlegion in Französisch-Guayana, im Kongo und in Papua-Neuguinea im Einsatz gewesen.

Ein weiteres Mitglied des Telegram-Kanals sei Heiko Herbert G., der Mitglied im Reservistenverband der Bundeswehr, Landesgruppe Niedersachsen, sei. Im Dezember 2019 habe er in Bezug auf die Antifa gedroht: „Den Typen nur noch aufs Maul hauen, reicht nicht! Mehr möchte ich dazu nicht schreiben.“

Offensichtlich waren die Pläne bereits weit fortgeschritten, und es gab Verbindungen zu anderen rechtsextremen Netzwerken. „Meine Vorbereitungen sind abgeschlossen. Besitze Ausrüstung, Kampfausruestung BW. Fuer den Fall... Buergerkrieg“, habe Heiko Herbert G. im Chat erklärt. Er habe alles „bis Kaliber 38-45“. Dazu habe der Bundeswehrreservist „einen Berg aus Rucksäcken, Helmen und einem Schlafsack in Bundeswehrflecktarn“ gepostet.

Eine der Betreiberinnen von #WIR sei Marion G., die in der Gruppe bewusst „Patrioten […] und Nationalsozialisten“ habe zusammenbringen wollen. Sie sei „eine aktive Unterstützerin der mutmaßlich rechtsextremen Terroristen der Gruppe S“, deren Mitglieder die Polizei im Februar dieses Jahres festgenommen habe. Marion G. sei „jedoch auf freiem Fuß“ geblieben und „weiter im digitalen Untergrund aktiv“ gewesen. Und das, obwohl die Gruppe S. offenbar kurz davor stand, loszuschlagen.

Wie der Spiegel im Februar berichtete, hatte die Gruppe bereits Waffen und Munition gehortet und plante, in einer konzertierten „Kommando“-Aktion zeitgleich in ganz Deutschland Moscheen zu überfallen und Muslime beim Gebet zu töten. Ziel sei es gewesen, Gegenreaktionen und einen „Bürgerkrieg“ zu provozieren. Die Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik habe man auf diese Weise „erschüttern“ und „überwinden“ wollen, fasste die ermittelnde Bundesanwaltschaft den Plan der Gruppe zusammen.

Die faschistischen Netzwerke in den deutschen Sicherheitsbehörden sind mittlerweile so umfassend und bedrohlich, dass sich die New York Times zum zweiten Mal binnen weniger Wochen gezwungen sah, vor der Gefahr eines rechtsextremen Umsturzes in Deutschland zu warnen. Nachdem sie bereits am 3. Juli darüber geschrieben hatte, konstatierte die Times am Wochenende in einem weiteren ausführlichen Artikel, die deutschen Behörden betrachteten das „Tag X“-Szenario inzwischen „als Vorwand für innenpolitischen Terrorismus durch rechtsextreme Verschwörer oder sogar für eine Regierungsübernahme“.

Es mag sein, dass Teile des Staatsapparats und der Regierung über die Terror- und Putschpläne beunruhigt sind. Fakt ist jedoch, dass es im gesamten politischen Establishment – unter den Parteien, den Ermittlungsbehörden und der Justiz – keine Kraft gibt, die willens und in der Lage wäre, der rechtsextremen Verschwörung entgegenzutreten. Das Erstarken der rechtsextremen Terrornetzwerke in Armee, Polizei und den Geheimdiensten steht in direktem Zusammenhang mit der Rückkehr der deutschen Bourgeoisie zu Militarismus und Krieg. Die einzige Möglichkeit, den rechten Terror zu stoppen, ist die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

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