Treffen des Netzwerks der Aktionskomitees für sichere Bildung

"Wir stehen am Beginn großer Massenkämpfe der Arbeiterklasse"

Am 8. Dezember organisierte das Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Bildung ein bemerkenswertes Online-Treffen. Führende Vertreter der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) und ihrer Jugendorganisation International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) diskutierten mit dutzenden Lehrkräften, Schülern, Arbeitern, Pflegekräften, Erziehern und Eltern über die konkreten Auswirkungen der Pandemie. Offiziell sind allein in Deutschland schon mehr als 104.000 Corona-Patienten gestorben, und die Inzidenz bei Kindern liegt bei 1000, was bedeutet, dass sich in der letzten Woche mindestens ein Prozent der Schulkinder mit Covid-19 angesteckt hat.

„Es ist kaum abzusehen, welches Leid durch diese Durchseuchung gerade geschaffen wird“, sagte Versammlungsleiter Gregor Link von den IYSSE in seinen Begrüßungsworten. Er wies darauf hin, dass das Treffen „genau an dem Tag stattfindet, an dem die Parteien der Ampel-Koalition die Regierung übernommen hat. Alles deutet darauf hin, dass sie die Profite-vor-Leben-Politik der großen Koalition fortsetzen und noch verschärfen werden.“

Dazu erklärte Christoph Vandreier, der Vorsitzende der SGP: „Nur eine soziale Bewegung von unten, eine Bewegung der Arbeiter, kann ein neues Massensterben verhindern.“ Er erläuterte, was notwendig wäre, um die Pandemie zu beenden, und wofür die SGP kämpfe: „Eine schnelle Impfung der Weltbevölkerung muss von Maßnahmen der strengen Kontaktreduktion begleitet werden, um das Virus auszulöschen. Das heißt: Lockdown aller nicht notwendigen Betriebe, der Schulen und des öffentlichen Lebens, bis das Virus eliminiert ist!“

Das Aufkommen der Omikron-Variante beweise gerade, wie nötig eine solche, an der Wissenschaft und an Menschenleben ausgerichtete Politik sei, fuhr Vandreier fort. Eine solche Politik werde jedoch von sämtlichen Regierungen abgelehnt. „Sie alle orientieren ihre Politik nicht an der Wissenschaft, sondern an den Aktienmärkten.“ Deshalb sei die Gründung von Aktionskomitees so wichtig: „Wir müssen sie unabhängig von den etablierten Parteien und den Gewerkschaften organisieren (…) Diese Aktionskomitees müssen sich international zusammenschließen und für ein wissenschaftliches Programm zur Eliminierung des Virus kämpfen.“

Diesen Punkt unterstrich der nächste Sprecher, Evan Blake, ein führendes Mitglied der Socialist Equality Party in den USA, der regelmäßig für die World Socialist Web Site schreibt. Er sprach zum Ausmaß der Pandemie in den Vereinigten Staaten und zum Global Workers‘ Inquest, den Ermittlungen zur Covid-19-Pandemie, die das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) initiiert hat.

In den USA wütet die Corona-Pandemie derzeit schlimmer als je zuvor, und täglich sterben im Durchschnitt mehr als 1.300 Corona-Patienten. Besonders übel ist die Lage der Kinder: Nach Angabe der amerikanischen Gesundheitsbehörden CDC sind bisher 974 Kinder unter 18 Jahren an Covid-19 gestorben, darunter 306 Kinder unter fünf Jahren! Dennoch werden die Schulen offengehalten.

Blake, der selbst Lehrer ist, berichtete von einem neuen Programm der Biden-Regierung namens „Test-to-Stay“ mit dem Ziel, Mitschüler, Sitznachbarn und Freunde der positiv getesteten Kinder in der Schule zu halten, solange sie negativ getestet werden. Diese kriminell fahrlässige Politik genieße die Unterstützung der Lehrergewerkschaft AFT und ihrer Präsidentin, Randi Weingarten, sagte Blake. Weingarten habe sogar einen Autor der Great Barrington Declaration und Befürworter der „Herdenimmunitäts“-Strategie, Jay Bhattacharya, als „Wissenschaftler“ zu einer öffentlichen Versammlung eingeladen.

Blake stellte dann den Global Workers‘ Inquest vor, die Ermittlungen zur Covid-19-Pandemie, welche die World Socialist Web Site initiiert hat. „Diese Ermittlungen sollen die wichtigsten Aspekte der Pandemie in jedem Land aufdecken, um Arbeiter mit dem nötigen Wissen über folgende Fragen auszustatten: Was war vor der Pandemie bereits bekannt? Was wurde in den entscheidenden ersten drei Monaten unternommen? Wie wurde die Verschwörungstheorie von den Wuhan-Labors propagiert? Welche Rolle haben dabei Politiker, Gewerkschaften und Medien gespielt?“ Er schloss: „Der wichtigste Aspekt der Untersuchung sind die Erfahrungen, welche Arbeiter aller Branchen während der Pandemie gemacht haben. Dazu werden Interviews mit Beschäftigten im Gesundheitswesen, in der Automobilindustrie, mit Erziehern und anderen Arbeitern gemacht und veröffentlicht.“

Auf Evan Blakes Beitrag meldeten sich zunächst mehrere Schüler und Lehrer.

Laura schilderte die Zustände an den Schulen in der verheerenden vierten Corona-Welle. An größeren Schulkomplexen mit mehreren tausend Schülern könne sich das Virus derzeit ungehindert ausbreiten. „Ich muss, wie die meisten bei uns, für den Schulweg den öffentlichen Nahverkehr nutzen – das sind ideale Bedingungen für eine vollkommene Durchmischung.“ Sie berichtete, dass der Direktor ihrer Schule durch Corona von April bis September krank und völlig arbeitsunfähig gewesen sei. Auch ein guter Freund von Laura sei nun infiziert. „Wir müssen normal weitermachen, als ob nichts wäre, hören täglich die Zahlen der Neuinfizierten und Gestorbenen, und sollen uns daran gewöhnen, dass immer neue Virus-Varianten kommen: Das ist verheerend.“

Weitere Schüler bestätigten ihre Angaben. Florian (12. Klasse) berichtete, dass im Unterricht zwar Maskenpflicht herrsche, nicht jedoch beim Sport oder Musik- und Gesangsunterricht. In letzter Zeit werde auch deutlich weniger getestet. Immer mehr Schüler seien mittlerweile der Meinung: „Es muss was getan werden.“ Tamino sprach über die extrem hohe Inzidenz von 1.300 bei den Schulkindern in Baden-Württemberg, „die aber nicht dazu führen, dass die Schulen geschlossen werden. Der Unterricht wird in voller Klassenstärke abgehalten.“ Er schloss mit einem starken Appell: „Jetzt ist der Zeitpunkt, nicht nur wütend zu sein, sondern gemeinsam mit Eltern, Lehrern und Schülern unabhängige Aktionskomitees aufzubauen!“

Joshua aus Bayern wies auf die verheerenden Folgen der uneingeschränkten Schulöffnungen hin: Die bayrischen Krankenhäuser seien mittlerweile so am Limit, dass sie Patienten in andere Bundesländer ausfliegen müssten. „Weltweit sind seit Beginn der Pandemie schon mehr als 180.000 Pflegekräfte gestorben.“ Er erwähnte die Streiks der Pflegekräfte in den letzten Monaten, z.B. in Berlin bei der Charité und bei Vivantes, die jedoch durch die Verdi-Funktionäre ausverkauft worden seien. „Mit der neuen Ampel-Regierung wird sich nichts zum Besseren wenden“, so Joshua. Deshalb müssten sich Arbeiter, Schüler, Eltern und Lehrkräfte unabhängig von den Gewerkschaften in Aktionskomitees organisieren. „Die Arbeiterklasse ist die einzige soziale Kraft, die willig und fähig ist, die Gesellschaft zu ändern.“

Die Lehrer, die sich zu Wort meldeten, knüpften an Evan Blakes Bericht an. Harald, ein Gymnasiallehrer aus dem Ruhrgebiet, sagte: „Die Schule ist Teil des gesellschaftlichen Lebens. Mit Omikron breitet sich Covid-19 in der ganzen Gesellschaft aus. Aber die Politiker zwingen uns, die Schulen offen zu halten. In NRW hat die Landesregierung sogar verboten, Schüler dazu anzuhalten, die Masken zu tragen. Sie sind entschlossen, ihre Strategie der Herdenimmunität durchzusetzen.“ In dieser Hinsicht würden die Lehrer massiv unter Druck gesetzt. „Wir haben das Gefühl, ausgeliefert zu sein und gezwungen zu werden, alles zu akzeptieren“, fuhr Harald fort. „Das ist eine menschenverachtende Politik. Es ist wirklich entscheidend, dass wir uns selbst in unabhängigen Komitees organisieren.“

Eine Lehrerin aus Berlin gab ein lebendiges Bild von den Ausbrüchen an den dortigen Grundschulen – und den irreführenden Anweisungen des Senats, der die Schulleitung zur Untätigkeit verdammt. „Das Virus breitet sich aus wie ein Flächenbrand, und keiner reagiert darauf. Gerade in Arbeiterfamilien wütet das Virus wie ein Lauffeuer, denn ein positiv Getesteter kann sich in den kleinen Wohnungen gar nicht isolieren.“ Sie sprach über die „erschreckende Lüge, dass Kinder nicht infektiös seien“, und führte Zahlen an, die das klar widerlegen. „Wir steuern auf ein gesundheitliches Desaster zu“, sagte sie. „Die Politik richtet sich nicht nach der Wissenschaft und lässt die Mehrheit der Bevölkerung in den Tod laufen.“

Weitere Pädagogen nahmen an der Diskussion teil, und Martin, ein Kita-Erzieher aus Sachsen, nannte es „Skrupellosigkeit oder grenzenlose Dreistigkeit“, dass nach den Herbstferien alle Beschränkungen für Schulen und Kitas wieder aufgehoben wurden. „Die Politiker heucheln Mitleid in einer Situation, die sie bewusst selbst herbeigeführt haben.“

Eine Erzieherin an einer Gesamtschule im Landkreis Meißen, auch Mutter dreier Kinder, schickte schriftliche Grüße an die Versammlung, in denen es heißt: „Bei uns findet aktuell eine richtige Durchseuchung statt. In meiner Klasse wurden seit den Herbstferien schon 8 von 24 Kindern positiv getestet. Die Klasse wurde nicht geschlossen. (…) In den anderen fünf Klassen sind auch immer wieder positive Fälle entdeckt worden – in jeder Klasse gab es mindestens schon fünf Fälle.“ Weiter schreibt sie, dass an ihrer Einrichtung „die ungeimpften Kollegen Corona-bedingt drei bis sechs Wochen ausfallen, und wir Geimpften müssen dadurch eine sehr hohe Arbeitsbelastung abdecken“.

Dann sprach Marion, Krankenpflegerin einer Covid-Station, sehr bewegend über „die extrem anstrengende vierte Corona-Welle“. Sie habe sowohl einen Sohn zuhause, als auch einen systemrelevanten Beruf. Sie sagte: „Ich habe in letzter Zeit weiß Gott zu viel damit zu tun gehabt, Tote in einen Plastiksack einpacken zu müssen.“

Die schon zuvor unerträgliche Belastung sei mit der Corona-Pandemie noch einmal stark angestiegen. „Die Patienten sind völlig isoliert von ihren Familien. Ich bin gezwungen zu entscheiden, ob ich mich um diesen Kranken oder jenen Sterbenden kümmere – das ist auch eine Art von Triage“, so Marion. Dem Zeitmangel zum Trotz müssten die Pflegekräfte Telefonate mit den Familien führen und den Angehörigen die dramatische Situation erklären. „Viele verstehen das nicht: Vor wenigen Tagen war die Person noch völlig fit, und jetzt geht es darum, ob sie eine Patientenverfügung hat?! Wir müssen uns alles anhören und nehmen das auch mit nach Hause.“

Marion sagte, einen Lockdown hätte sie schon im letzten Jahr gut gefunden. „Das ständige Hin und Her zermürbt die Leute. Jetzt kommt ein Lockdown schon fast zu spät, das ist ein ganz, ganz großes Problem.“ Viele Pflegekräfte seien einfach am Limit: „Sie verlassen den Beruf – da ist auch mit Geld nicht viel zu machen.“ Sie vermutete, dass das Problem darin bestehe, dass sich „zu wenig Pflegekräfte in der Gewerkschaft organisieren“.

Dem widersprach ein weiterer Sprecher, einer von zwei WISAG-Arbeitern, die am Treffen teilnahmen. Die WISAG-Arbeiter kämpfen seit genau einem Jahr für ihre Wiedereinstellung am Frankfurter Flughafen. Ertuğrul berichtete, Verdi am Flughafen habe keinen Finger zu ihrer Verteidigung gerührt: „Ich habe das selbst zu spüren bekommen.“

Die Konzerne nutzten Corona, um langjährige, erfahrene Arbeiter zu entlassen und Lohndumping zu betreiben, fuhr er fort. Covid-19 bezeichnete er als „das Schlimmste, was die Menschen weltweit betroffen hat“. Er sagte: „Als die Pandemie begann, haben wir Arbeiter, die wir die Flieger persönlich abgefertigt haben, Schutzausrüstung angefragt. Das ist ein internationaler Flugbetrieb, da müssen Mittel für so etwas einfach vorhanden sein. Aber daran hat es gehapert.“

Darauf seien 24 der Kollegen an Corona erkrankt. „Das wurde zwar verheimlicht, aber wir haben es dennoch herausgefunden. Uns wurde ständig gesagt: ‚Wenn ihr krank werdet, wer soll die Arbeit dann machen?‘ Das ist fahrlässig und heißt, dass Menschenleben nichts mehr zählen. Wir haben alles mitgemacht, in der Hoffnung, dass das vorbei geht. Dann wurden über 200 von uns ‚betriebsbedingt‘ gekündigt.“ So gehe es immer weiter: „Es betrifft tausende Kollegen, nicht nur bei WISAG, auch bei Fraport und Lufthansa, bei Opel in Rüsselsheim, Audi, BMW oder Mercedes. Jeder Konzern ist erpicht darauf, die Pandemie zu nutzen, um Arbeiter loszuwerden.“ Er berichtete, er habe mit seinen Kollegen von WISAG „gegen all die Lobbyisten die ‚Initiative der Lobbylosen‘ gegründet“.

Er sagte, dass die Kollegen nicht aufgeben wollen, aber viele auch nicht wüssten, was man noch tun könne. Das alles sei sehr schwer zu ertragen, und er könne nachts nicht mehr schlafen. Mit der neuen Initiative müsse man wohl „auch die Gewerkschaften ansprechen: Gewerkschaften, Verbände, Parteien – wir müssen alle einladen und unsere Initiative nach vorne tragen.“

Darauf antwortete Christoph Vandreier, der die Diskussion zusammenfasste: „Diese Beiträge der Pflegekräfte, der Lehrer und Arbeiter zeigen, wie sich die Klassenwidersprüche des Kapitalismus mit der Pandemie zugespitzt haben. Aber wir reagieren darauf nicht mit Niedergeschlagenheit, sondern mit Optimismus. Wir stehen am Beginn großer Massenkämpfe.“ Er wies darauf hin, dass in den USA die Arbeiter bei John Deere, bei Volvo und anderswo bereits gegen den Willen der Gewerkschaften begonnen hätten, den Widerstand zu organisieren. „All diese Kämpfe, die jetzt entstehen, brauchen eine politische Perspektive, und diese Perspektive ist der Internationalismus und der Sozialismus.“

Er fuhr fort: „Wir haben konkrete, wissenschaftlich begründete Vorschläge, wie die Pandemie besiegt werden kann: durch eine Eliminierungsstrategie, die global koordinierte Lockdowns mit Contact-Tracing verbindet. Dafür müssen die hunderte Milliarden Dollar und Euro verwendet werden, die die Politiker an Konzerne und Banken als ‚Corona-Hilfen‘ ausgeschüttet haben.“ Um dieses Programm zu verwirklichen, fuhr Vandreier fort, sei es vollkommen illusorisch, sich erneut an die Gewerkschaften, Verbände und die gleichen Parteien, die ja in den Regierungen sitzen, zu wenden: „Sie sind für über 100.000 Tote verantwortlich!“ Er rief alle Teilnehmer auf, sich aktiv am Aufbau der Aktionskomitees für sichere Bildung und für sichere Arbeitsplätze zu beteiligen und den Global Workers Inquest zu unterstützen.

Zum Schluss verabschiedeten die Teilnehmer einstimmig eine Solidaritätserklärung mit Lisa Diaz in Großbritannien, die massiv von den Behörden unter Druck gesetzt wird, weil sie ihre Tochter inmitten der Virusausbreitung nicht zur Schule schickt. Die Stadt Wigan hat ihr mit einer Geldstrafe gedroht und will sie vor das Familiengericht zerren. In der Solidaritätserklärung des Netzwerks heißt es:

„Wir unterstützen Lisas mutige Entscheidung und verurteilen die Kampagne gegen sie auf das Schärfste (…) Ein Angriff auf eine ist ein Angriff auf alle. (…) Wir fordern, dass Schulen, Kitas und alle nicht lebensnotwendigen Betrieben im Rahmen einer globalen Eliminierungsstrategie sofort geschlossen und die sozialen Folgen ausgeglichen werden. Gründet unabhängige Aktionskomitees, um für einen Lockdown mit vollständiger Lohnfortzahlung zu kämpfen – gegen Massenentlassungen und Durchseuchung!“

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